Einleitung
Man sollte der Bhagavad-gita in einem Geist der Hingabe begegnen.
Man darf nicht glauben, man sei Krsna ebenbürtig oder Krsna sei eine gewöhnliche
oder auch eine ganz außergewöhnliche Persönlichkeit. Nach den Aussagen
der Bhagavad-gita bzw. den Aussagen Arjunas - des Menschen, der die Bhagavad-gita zu verstehen sucht
- ist Sri Krsna, der Höchste Persönliche Gott. Wir sollten daher, Sri Krsna als den
Höchsten Persönlichen Gott akzeptieren, denn nur in dieser hingebungsvollen
Haltung können wir die Bhagavad-gita verstehen. Solange man die Bhagavad-gita
nicht in einer hingebungsvollen Haltung liest, ist es sehr schwierig, die Bhagavad-gita zu verstehen,
denn sie ist ein großes Geheimnis.
Nach der Bhagavatapurana ist
Krishna (Kryschen)
die wichtigste Inkarnation (Avatara)
von Vishnu (Vyschen).
[22]
Was ist die Bhagavad-gita nun eigentlich?
Es ist das Ziel der Bhagavad-gita, die Menschheit aus der Unwissenheit des materiellen Daseins zu befreien.
In gewisser Weise gleichen wir alle Arjuna, der sich in einer schwierigen Lage befand,
als er in der Schlacht von Kuruksetra kämpfen sollte. Arjuna gab sich Sri Krsna
hin, und somit verkündete der Herr ihm die Bhagavad-gita. Nicht nur Arjuna,
sondern jeder von uns ist aufgrund des leidvollen materiellen Daseins voller
Angst und Unruhe. Wir leben unsere jetzige Existenz in der Atmosphäre der
Nichtexistenz; doch in Wirklichkeit sind wir nicht dazu bestimmt, von Nichtexistenz
bedroht zu sein. Unsere Existenz ist ewig. Doch auf irgendeine Weise sind
wir in asat geraten. Asat bedeutet "das, was nicht existiert".
Der Herr sagt in der Bhagavad-gita, daß die
jivas (die Lebewesen) Seine Bestandteile
seien. Auch ein Körnchen von Gold ist Gold, und ein Tropfen Wasser aus dem
Ozean ist ebenfalls salzig, und dementsprechend haben auch wir, die Lebewesen,
als Bestandteile des höchsten Kontrollierenden (isvaras, Bhagavans oder Sri Krsna)
alle Eigenschaften des Höchsten Herrn in winzigem Ausmaß, denn wir
sind nur winzige isvaras, untergeordnete isvaras. Wir versuchen, die Natur und,
in neuester Zeit, auch den Weltraum und andere Planeten zu kontrollieren.
Diese Neigung zu kontrollieren ist in uns, weil sie in Krsna ist. Doch obwohl wir
das Verlangen haben, die materielle Natur zu beherrschen, sollten wir erkennen,
daß wir keineswegs der höchste Kontrollierende sind. Dies wird in der Bhagavad-gita erklärt.
pakrti besteht aus drei Erscheinungsweisen : der Erscheinungsweise der
Reinheit, der Erscheinungsweise der Leidenschaft und der Erscheinungsweise
der Unwissenheit. Über diesen Erscheinungsweisen befindet sich kala, die ewige
Zeit, und durch eine Kombination dieser Erscheinungsweisen der Natur und unter
der Kontrolle und Aufsicht der ewigen Zeit führt das Lebewesen Aktivitäten
aus, die karma genannt werden. Diese Aktivitäten werden schon seit Beginn des
materiellen Daseins ausgeführt, und daher erleiden oder genießen wir die
Früchte unserer Aktivitäten seit unvordenklichen Zeiten. Nehmen wir zum Beispiel
an, ich wäre ein Geschäftsmann und hätte sehr schwer gearbeitet und daher
sehr viel Geld angehäuft - dann könnte ich genießen. Wenn ich dagegen all
mein Geld bei Geschäften verlöre, wäre ich der Leidtragende. In ähnlicher Weise genießen
oder erleiden wir bei all unseren Handlungen die Ergebnisse unseres
Tuns. Das wird karma genannt.
lsvara (der Höchste Herr),
jiva (das Lebewesen), pakrti (die Natur), kala (die
ewige Zeit) und karma (Aktivität) werden in der Bhagavad-gita erklärt. Von diesen
fünf sind der Herr, die Lebewesen, die materielle Natur und die Zeit ewig.
Die Manifestation der pakrti mag zwar zeitweilig sein, doch sie ist nicht falsch.
Einige Philosophen behaupten, die Manifestation der materiellen Natur sei
falsch; doch nach der Philosophie der Bhagavad-gita, der Philosophie der
Vaisnavas,
ist dies nicht der Fall. Die Manifestation der Welt wird nicht als falsch angesehen,
sondern als wirklich - wenn auch nur als vorübergehend. Sie ist wie eine
Wolke, die am Himmel vorüberzieht, oder wie das Eintreten der Regenzeit, die
die Pflanzen wachsen läßt. Sobald die Regenzeit vorüber ist und die Wolke verschwindet
vertrocknen die Pflanzen, die vom Regen genährt wurden. Und so
entsteht auch die materielle Manifestation in gewissen Zeitabständen, besteht
für eine Weile und verschwindet daraufhin wieder. Dieser Kreislauf findet ewiglich
statt, und deshalb ist pakrti ewig; sie ist nicht falsch. Der Herr nennt sie:
"Meine pakrti. " Die materielle Natur ist die abgesonderte Energie des Höchsten
Herrn, und auch die Lebewesen sind eine Energie des Höchsten; doch sie
sind nicht von Ihm getrennt - sie sind ewiglich mit Ihm verbunden. Der Herr, das
Lebewesen, die materielle Natur und die Zeit sind miteinander verbunden, und
sie alle sind ewig; karma hingegen ist nicht ewig. Die Auswirkungen des karma
können noch aus Handlungen längst vergangener Leben stammen. Wir erleiden
oder genießen die Ergebnisse von Aktivitäten, die wir vor unvordenklichen Zeiten
ausgeführt haben; doch wir können die Ergebnisse unseres karma (unserer
Aktivität) verändern, und diese Veränderung hängt von der Vollkommenheit
unseres Wissens ab. Wir gehen den unterschiedlichsten Aktivitäten nach, doch
zweifellos wissen wir nicht, was wir tun sollen, um von den Aktionen und Reaktionen
all dieser Aktivitäten befreit zu werden. Aus diesem Grund gibt uns die
Bhagavad-gita Anweisungen, auf welche Weise wir handeln sollen.
lsvara ist das höchste Bewußtsein. Da die
jivas (die Lebewesen) Bestandteile
des Höchsten Herrn sind, haben auch sie ein Bewußtsein. Sowohl das Lebewesen
als auch die materielle Natur werden als pakrti, als die Energie des Höchsten
Herrn, erklärt, aber eine von beiden, die
jiva, hat ein Bewußtsein. Die andere
pakrti hingegen hat kein Bewußtsein - darin besteht der Unterschied. Da das
Lebewesen ein Bewußtsein hat, das dem des Herrn ähnlich ist, bezeichnet man
die
jiva-pakrti als die höhere Energie. Das Bewußtsein des Herrn jedoch ist
das höchste, und daher sollte man niemals behaupten, das Bewußtsein der
jiva,
des Lebewesens, befinde sich auf der gleichen Ebene. Die Lebewesen können
auf keiner Stufe ihrer spirituellen Verwirklichung das höchste Bewußtsein erreichen,
und eine Lehre, die das Gegenteil behauptet, ist eine Irrlehre. Die
jiva
hat zwar ein Bewußtsein, aber weder ein vollkommenes noch ein vollständiges.
Der Herr und auch das Lebewesen sind ksetra-jnah,
das heißt, sie haben ein Bewußtsein; doch das Lebewesen ist sich nur seines
jeweiligen Körpers bewußt, während Sich der Herr aller Körper bewußt ist. Weil
Er im Herzen jedes Lebewesens weilt, ist Er Sich über die psychische Verfassung
jeder einzelnen
jiva bewußt. Wir sollten diese Tatsache nicht vergessen. Es wird
auch erklärt, daß der
Paramatma,
der Höchste Persönliche Gott, in jedem Herzen
als isvara, als der Kontrollierende, weilt und daß Er dem Lebewesen Anweisungen
gibt, wie es seine Begehren befriedigen kann; denn das Lebewesen vergißt,
was es tun sollte. Zuerst entschließt es sich, auf eine bestimmte Art und
Weise zu handeln und wird daraufhin in die Aktionen und Reaktionen dieser
Handlung verstrickt. Nachdem es den einen Körper aufgegeben hat, geht es in
einen anderen Körper ein, ähnlich wie man alte Kleider ablegt und neue anlegt.
Die Seele erleidet, während sie auf diese Weise von einem Körper zum anderen
wandert, die Aktionen und Reaktionen ihrer vergangenen Aktivitäten. Diese
Aktivitäten können geändert werden, wenn sich das Lebewesen in der Erscheinungsweise
der Reinheit befindet, das heißt, wenn sein Geist geklärt ist und es
versteht, welche Aktivitäten es ausführen sollte. Wenn es in diesem Sinne handelt,
können alle Aktionen und Reaktionen auf vergangene Aktivitäten umgewandelt
werden. Karma ist also nicht ewig.
Der Sich über alles bewußte isvara ähnelt dem Lebewesen insofern, als sowohl
das Bewußtsein des Herrn wie auch das des Lebewesens transzendental ist. Bewußtsein
wird nicht durch eine Verbindung materieller Elemente erzeugt - diese
Vorstellung ist falsch. Die Theorie, daß sich Bewußtsein unter bestimmten Umständen
aus materiellen Verbindungen entwickelt, wird von der Bhagavad-gita
nicht akzeptiert. Bewußtsein wird pervertiert reflektiert, wenn es von Materie
bedeckt ist, so wie auch Licht, das sich in farbigem Glas bricht, von bestimmter
Farbe zu sein scheint. Das Bewußtsein des Herrn hingegen wird niemals von Materie
berührt. Sri Krsna sagt: "Die materielle Natur ist
unter Meiner Führung aktiv." Wenn der Herr in die materielle Welt herabsteigt,
wird Sein Bewußtsein von der Materie nicht berührt. Würde Er davon beeinflußt
werden, wäre Er unfähig, über die Transzendenz zu sprechen, wie Er es in der
Bhagavad-gita tut. Man kann nichts über die transzendentale Welt aussagen, solange
man nicht vom materiell verunreinigten Bewußtsein völlig frei ist. Der
Herr wird also nicht von der Materie verunreinigt. Unser Bewußtsein jedoch ist
gegenwärtig von der Materie verunreinigt. Die Bhagavad-gita lehrt, daß wir dieses
materiell befleckte Bewußtsein reinigen müssen. Wenn unser Bewußtsein gereinigt
ist, werden unsere Handlungen mit dem Willen isvaras in Einklang stehen,
und wir werden glücklich werden. Es ist keinesfalls richtig, daß wir mit allen
Aktivitäten aufhören sollen. Unsere Aktivitäten müssen vielmehr gereinigt werden,
und solche gereinigten Aktivitäten werden bhakti genannt. Aktivitäten, die
in bhakti verrichtet werden, scheinen zwar gewöhnliche Aktivitäten zu sein, doch
sie sind nicht verunreinigt. Einem unwissenden Menschen mag es zwar so vorkommen,
als handele und arbeite ein Gottgeweihter genau wie ein gewöhnlicher
Mensch, doch solch ein Mensch mit geringem Wissen weiß nicht, daß die Aktivitäten
des Gottgeweihten oder die des Herrn nicht durch unreines Bewußtsein
oder Materie befleckt sind. Sie sind transzendental, das heißt, sie befinden sich
jenseits der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur. Wir sollten jedoch
wissen, daß unser Bewußtsein im augenblicklichen Zustand verunreinigt ist.
Wenn wir materiell verschmutzt sind, werden wir bedingt genannt. Falsches
Bewußtsein entsteht, wenn man glaubt, ein Produkt der materiellen Natur zu
sein. Diese Auffassung wird falsches Ich genannt. Wer sich mit seinen Gedanken
auf der Ebene des Körpers befindet, kann seine wirkliche Situation nicht verstehen.
Die Bhagavad-gita wurde gesprochen, um die Menschen von der körperlichen
Auffassung des Lebens zu befreien, und so übernahm Arjuna die Rolle des
Schülers, um diese Unterweisungen vom Herrn empfangen zu können. Man muß
von der körperlichen Auffassung des Lebens frei werden; das ist der erste Schritt
des Transzendentalisten. Wer frei werden will, muß als erstes lernen, daß der materielle
Körper nicht seine wahre Identität ist. Mukti oder Befreiung bedeutet,
vom materiellen Bewußtsein frei zu sein. Auch im
Srimad-Bhagavatam wird die
Definition von Befreiung gegeben. Mukti bedeutet Befreiung vom verunreinigten
Bewußtsein der materiellen Welt und Verankertsein im reinen Bewußtsein.
Alle Unterweisungen der Bhagavad-gita haben das Ziel, dieses reine Bewußtsein
zu erwecken, und daher fragt Krisna am Ende Seiner Unterweisungen, ob
Arjunas Bewußtsein nun gereinigt sei. Gereinigtes Bewußtsein bedeutet, in
Übereinstimmung mit den Anweisungen des Höchsten Herrn zu handeln. Da wir
Bestandteile des Herrn sind, haben auch wir Bewußtsein; doch wir neigen dazu,
von den niederen Erscheinungsweisen beeinflußt zu werden. Der Herr jedoch
wird, weil Er der Höchste ist, niemals von ihnen beeinflußt; das ist der Unterschied
zwischen dem Höchsten Herrn und den bedingten Seelen.
Was versteht man unter diesem Bewußtsein? In diesem Bewußtsein denkt
man, "Ich bin". Und was bin ich? Im unreinen Bewußtsein bedeutet "Ich bin":
"Ich bin Herr über alles, was ich überblicken kann; ich bin der Genießer." Die
Welt dreht sich, weil jedes Lebewesen sich selbst für den Herrn und Schöpfer der
materiellen Welt hält. Im materiellen Bewußtsein herrschen zwei Vorstellungen.
Die eine lautet, "Ich bin der Schöpfer", und die andere, "Ich bin der Genießer".
Doch in Wirklichkeit ist der Höchste Herr sowohl der Schöpfer als auch der Genießende,
und als Bestandteile des Höchsten Herrn sind die Lebewesen weder
Schöpfer noch Genießer, sondern Mitwirkende. Sie sind erschaffen und werden
genossen. Jedes Teil einer Maschine, zum Beispiel, arbeitet mit dem Gesamtmechanismus
zusammen, und in ähnlicher Weise harmonisiert jedes Teil des
Körpers mit dem gesamten Körper. Die Hände, Füße, Augen, Beine usw. sind
Teile des Körpers, doch sie sind nicht die eigentlichen Genießer - der eigentliche
Genießer ist der Magen. Die Beine bewegen sich, die Hände führen
ihm Nahrung zu, die Zähne kauen usw., und so sind alle Teile des Körpers damit
beschäftigt, den Magen zufriedenzustellen. Da der Magen der wichtigste Faktor
für den körperlichen Aufbau ist, wird ihm alle Nahrung gegeben. Man nährt den
Baum, indem man die Wurzel bewässert, und man nährt den Körper, indem man
den Magen füllt. Wenn der Körper gesund bleiben soll, müssen die Teile des
Körpers zusammenwirken, um den Magen mit Nahrung zu versorgen. In ähnlicher
Weise ist der Höchste Herr der Genießende und Schöpfer, und wir, als untergeordnete
Lebewesen, müssen zusammenwirken, um Ihn zufriedenzustellen.
Diese Zusammenarbeit wird uns wirklich helfen - wie auch die Nahrung, die
dem Magen gegeben wird, allen anderen Teilen des Körpers zugute kommt.
Würden die Finger der Hand die Nahrung selbst aufnehmen wollen, anstatt sie
dem Magen zuzuführen, würden sie bei ihrer Bemühung enttäuscht werden. Der
Höchste Herr ist der Ursprung der gesamten Schöpfung und der Mittelpunkt aller
Freude, und die Lebewesen sind dazu bestimmt zusammenzuwirken, um sich
in der Zusammenarbeit zu erfreuen. Die Beziehung zum Höchsten Herrn gleicht
der Beziehung des Dieners zum Meister. Wenn der Meister völlig zufriedengestellt
ist, ist auch der Diener zufrieden. Daher sollte der Höchste Herr zufriedengestellt
werden - auch wenn die Lebewesen die Neigung haben, selbst zum
Schöpfer zu werden und die materielle Welt zu genießen. Diese Neigungen sind
in den Lebewesen, weil auch der Höchste Herr, der die manifestierte kosmische
Welt erschaffen hat, all diese Neigungen besitzt.
In der Bhagavad-gita wird erklärt, daß sich das vollkommene Ganze aus dem
höchsten Kontrollierenden, den kontrollierten Lebewesen, der kosmischen Manifestation,
der ewigen Zeit und dem karma bzw. den Aktivitäten zusammensetzt.
All dies zusammen bildet das vollkommene Ganze, und das vollkommene
Ganze wird die Höchste Absolute Wahrheit genannt. Das vollkommene Ganze,
die Höchste Absolute Wahrheit ist der Höchste Persönliche Gott, Sri Krsna.
Alle Manifestationen haben ihren Ursprung in Seinen verschiedenen Energien.
Er ist das vollkommene Ganze.
In der Gita wird ebenfalls erklärt, daß auch das unpersönliche
Brahman dem
Vollkommenen untergeordnet ist. Eindeutiger noch wird das
Brahman im
Brahma Sutra
durch den Vergleich mit den Sonnenstrahlen erläutert. Das unpersönliche
Brahman
besteht aus den leuchtenden Strahlen des Höchsten Persönlichen
Gottes. Die Erkenntnis des unpersönlichen
Brahman und auch die Erkenntnis
des
Paramatma
ist nur eine unvollkommene Erkenntnis des Absoluten Ganzen.
Weniger intelligente Menschen glauben, die Höchste Wahrheit sei unpersönlich;
doch Er ist eine transzendentale Person, und dies wird in allen vedischen
Schriften bestätigt. Wie wir alle individuelle
Lebewesen sind und eine uns eigene Persönlichkeit besitzen, so ist auch die
Höchste Absolute Wahrheit letztlich eine Person, und die Erkenntnis des Persönlichen
Gottes bedeutet die Erkenntnis aller transzendentalen Aspekte. Das
vollkommene Ganze ist nicht formlos. Wäre Er formlos oder weniger als irgend
etwas in Seiner Schöpfung, könnte Er nicht das vollkommene Ganze sein. Das
vollkommene Ganze muß alles beinhalten, was innerhalb und außerhalb unserer
Erfahrung liegt, denn sonst wäre es nicht vollkommen. Das vollkommene
Ganze, der Persönliche Gott, besitzt unermeßliche Energien.
Wie Krsna durch verschiedene Energien wirkt, wird ebenfalls in der Bhagavad-
gita erklärt. Die Erscheinungswelt bzw. die materielle Welt, in der wir uns
jetzt befinden, ist nach der
Sankhya-Philosophie
ebenfalls in sich selbst vollkommen,
weil die vierundzwanzig Elemente, aus denen das materielle Universum
vorübergehend manifestiert wird, völlig darauf abgestimmt sind, alle Mittel hervorzubringen,
die zur Erhaltung und Versorgung des Universums notwendig
sind. Nichts ist überflüssig, noch mangelt es an irgendwelchen Dingen. Diese
Manifestation hat ihre eigene Zeit, die durch die Energie des höchsten Ganzen
festgelegt ist, und wenn diese Zeit abgelaufen ist, werden die zeitweiligen Manifestationen
durch die vollkommene Einrichtung des Vollkommenen aufgelöst.
Den winzigen vollkommenen Teilen, den Lebewesen, sind vollkommene Möglichkeiten
gegeben, den Vollkommenen zu erkennen, und alle Arten von Unvollkommenheit
werden nur erfahren, weil das Wissen vom Vollkommenen unvollkommen
ist. Die Bhagavad-gita beinhaltet also das gesamte Wissen der vedischen Weisheit.
Das vedische Wissen ist unfehlbar und wird daher von den Hindus als vollkommen
akzeptiert. Zum Beispiel ist der Dung der Kuh der Kot eines Tieres,
und nach der
Smriti
(der vedischen Unterweisung) muß man, wenn man den Kot
eines Tieres berührt hat, ein Bad nehmen, um sich zu reinigen. In den vedischen
Schriften wird nun aber gesagt, daß der Dung der Kuh eine reinigende Wirkung
hat. Man mag denken, dies sei ein Widerspruch, doch diese Aussage wird als
Wahrheit akzeptiert, weil es eine vedische Unterweisung ist. Wenn man die Veden
auf diese Art und Weise akzeptiert, wird man keinen Fehler begehen. In
jüngster Zeit hat sogar die moderne Wissenschaft herausgefunden, daß im Dung
der Kuh alle antiseptischen Eigenschaften enthalten sind. Das vedische Wissen
ist also vollkommen, denn es ist über alle Zweifel und Fehler erhaben.
Die Bhagavad-gita ist die Essenz des gesamten vedischen Wissens.
Vedisches Wissen hat nichts mit Forschung zu tun. Unsere Forschungsarbeit
ist immer unvollkommen, weil wir die Dinge nur mit unseren unvollkommenen
Sinnen untersuchen. Wie in der Bhagavad-gita gesagt wird, müssen wir das vollkommene
Wissen akzeptieren, das uns durch die
guru parampara (die Nachfolge
der geistigen Meister) überliefert wird. Wir müssen Wissen aus der richtigen
Quelle, das heißt von der Nachfolge der geistigen Meister empfangen, die mit
dem höchsten geistigen Meister, dem Herrn Selbst, beginnt. Arjuna, der von
Krsna unterwiesen wird, akzeptiert alles, was der Herr sagt, ohne Ihm zu widersprechen.
Man darf nicht den Fehler begehen, einen Teil der Bhagavad-gita zu
akzeptieren und einen anderen abzulehnen. Wir müssen die Bhagavad-gita vielmehr
akzeptieren, wie sie ist, ohne sie nach unserem Gutdünken auszulegen oder
etwas auszulassen. Die Gita muß als die Essenz des vedischen Wissens angesehen
werden. Das vedische Wissen wird aus transzendentalen Quellen empfangen,
und die ersten Worte wurden vom Herrn Selbst gesprochen. Die Worte, die von
Gott gesprochen werden, unterscheiden sich von denen, die von einem Menschen
der irdischen Welt geäußert werden, denn dieser ist vier Unvollkommenheiten
unterworfen : (1) er begeht mit Sicherheit Fehler; (2) er hat unvermeidlich
falsche Vorstellungen; (3) er hat die Neigung, andere zu betrügen, und (4) er ist
durch unvollkommene Sinne beschränkt. Aufgrund dieser vier Unvollkommenheiten
kann man kein allumfassendes Wissen vermitteln.
Es gibt viele Beispiele dafür, wie wir die Dinge verwenden sollen, die uns vom
Herrn gegeben worden sind, und auch das wird in der Bhagavad-gita erklärt.
Arjuna wollte an der Schlacht von Kuruksetra nicht teilnehmen. Er sagte zu Krsna,
es werde ihm nicht möglich sein, sich des Königreichs zu erfreuen, nachdem er
seine Verwandten getötet habe. Diese Entscheidung beruhte auf der körperlichen
Auffassung des Lebens, denn er hielt den Körper für das Selbst und glaubte
daher, seine Brüder, Neffen, Schwäger und Großväter usw. seien sehr eng mit
ihm verbunden. Auf diese Weise glaubte er, seine körperlichen Verlangen befriedigen
zu können. Der Herr verkündete die Bhagavad-gita, um diese Auffassung
zu ändern, und am Ende der Unterweisungen entschloß sich Arjuna, unter
der Führung des Herrn zu kämpfen. Er sagte: karishye vacanam tava. "Ich werde
ganz nach Deinen Worten handeln." (Bg. 18.7 3)
Die Menschen sind nicht dazu bestimmt, sich in dieser Welt wie die Schweine
abzuquälen. Sie müssen intelligent genug sein, die Bedeutung des menschlichen
Lebens zu erkennen, und sich weigern, wie gewöhnliche Tiere zu handeln. Ein
Mensch sollte das Ziel seines Lebens erkennen; diese Anweisung wird in allen
vedischen Schriften gegeben - die Essenz finden wir in der Bhagavad-gita . Die
vedischen Schriften sind für Menschen und nicht für Tiere bestimmt. Tiere können
andere Tiere töten und sündigen dabei nicht, doch wenn ein Mensch ein Tier
zur Befriedigung seines unkontrollierten Gaumens tötet, bricht er die Gesetze
der Natur und muß sich dafür verantworten. In der Bhagavad-gita wird erklärt,
daß es drei Arten von Aktivitäten gibt, die in Entsprechung zu den verschiedenen
Erscheinungsweisen der materiellen Natur ausgeführt werden: Aktivitäten
in Reinheit, in Leidenschaft und in Unwissenheit. In ähnlicher Weise gibt es auch
drei Arten von Nahrungsmitteln: Nahrungsmittel in Reinheit, in Leidenschaft
und in Unwissenheit. All dies wird eingehend erklärt, und wenn wir den Unterweisungen
der Bhagavad-gita folgen, wird unser Leben rein werden, so daß wir
letztlich das Ziel erreichen werden, das sich jenseits der materiellen Welt befindet.
Dieses Ziel wird der sanātana-Himmel genannt, die ewige, spirituelle Welt. In
der materiellen Welt ist alles zeitweilig: Etwas manifestiert sich, bleibt einige
Zeit bestehen, pflanzt sich fort, schwindet allmählich dahin und vergeht schließlich.
Das ist das Gesetz der materiellen Welt, und wir können es zum Beispiel an
unserem Körper, einer Frucht oder irgend etwas anderem beobachten. Doch
jenseits dieser zeitweiligen Welt gibt es eine andere Welt, von der wir Berichte
und Beschreibungen haben. Diese Welt ist von anderer Natur: sie ist sanātana
(ewig) . Im Elften Kapitel werden die
jivas und der Herr ebenfalls als sanātana
beschrieben. Wir haben eine vertraute Beziehung zum Herrn, und da wir alle
qualitativ eins sind - das
sanātana dharma (das ewige Reich), die sanātana -Höchste
Person und die sanātana -Lebewesen - besteht der Sinn der Bhagavad-gita
darin, unsere sanātana -Aktivitäten, unser
sanātana dharma, wiederzubeleben die
ewigen Aktivitäten des Lebewesens. Wir sind vorübergehend mit verschiedenen
Aktivitäten beschäftigt, doch sie alle können gereinigt werden, wenn wir
alle zeitweiligen Aktivitäten aufgeben und nach den Unterweisungen des Höchsten
Herrn handeln. Dann beginnt unser wirkliches, unser reines Leben.
Sowohl der Höchste Herr als auch Sein transzendentales Reich sind sanātana,
und auch die Lebewesen sind unvergänglich. Die Vollkommenheit des menschlichen
Lebens besteht darin, mit dem Höchsten Herrn in Seinem sanātana-Reich
zusammenzusein. Der Herr ist den Lebewesen gegenüber sehr gütig, weil sie
Seine Kinder sind. Sri Krsna erklärt in der Bhagavad-gita : ,Sarva yonisru .. aham bija-praham pita'
"Ich bin der Vater aller Lebewesen." Dem unterschiedlichen
karma entsprechend, gibt es viele verschiedene Arten von Lebewesen,
doch hier erklärt der Herr, daß Er der Vater aller ist. Daher steigt der Herr in die
materielle Welt herab, um all diese gefallenen, bedingten Seelen zum sanātana Reich
zurückzurufen, so daß die sanātana-Lebewesen ihre sanātana-Position im
ewigen Zusammensein mit dem Herrn wiedererlangen können. Der Herr
kommt entweder Selbst in verschiedenen Inkarnationen oder sendet Seine vertrauten
Diener als Söhne, oder Er schickt Seine Gefährten als
acaryas.
sanātana dharma
ist deshalb keine sektiererische Religion. Es ist die ewige
Aufgabe der ewigen Lebewesen in ihrer Beziehung zum ewigen Höchsten Herrn.
sanātana dharma
bezieht sich, wie schon gesagt wurde, auf die ewige Aktivität
des Lebewesens. Ramanujacarya hat das Wort sanātana erklärt als "das, was
weder Anfang noch Ende hat". Wenn wir also von
sanātana dharma sprechen,
müssen wir aufgrund der Autorität Sri Ramanujacarya akzeptieren, daß es
weder Anfang noch Ende hat.